Lebendige Erde 2/2005:

Ernährung

Aromen: weniger ist mehr!
Demeter hat den Einsatz von Aromen entscheidend eingeschränkt!

von Gunther Weiss

Was nicht schmeckt, wird nicht gegessen und natürlich nicht gekauft, so einfach ist das für Verbraucher. Das gilt im konventionellen Lebensmittelmarkt ebenso wie im Bio-Bereich, auch wenn dort noch so ökologisch und sozial korrekt erzeugt wird. Alle Lebensmittelhersteller achten daher darauf, dass ihre Produkte geschmacklich gut ankommen. Wie schaffen es aber Hersteller, dass ihre Produkte trotz aufwendiger Verarbeitungsprozesse und langer Lagerungszeiten doch noch schmecken?

Ein Blick auf die Zutatenliste offenbart am Ende der üblichen Aufzählung einen mengenmäßig unscheinbaren Bestandteil: Aroma. Diese für industriell verarbeitete Produkte gängige Zutat ist auch im Bio-Sektor zu finden und führt bei engagierten Verbrauchern zu Irritationen. Der Zusatz "natürlich" beruhigt den anspruchsvollen Bio-Kunden jedoch wieder, denn er vermutet eine schonend verarbeitete und möglichst naturbelassene Zutat in seinem Bio-Produkt. Schließlich ist "ein wenig eingekochter Erdbeersaft aus biologisch angebauten Früchten schon in Ordnung". Der Schein aber trügt! Der Geschmack eines "natürlichen Aromas" entsteht nicht durch die ursprüngliche Qualität der Zutaten und der dort von Natur aus enthaltenen Aromastoffe, sondern ist in der Regel das Ergebnis einer technologischen Höchstleistung spezialisierter Chemieunternehmen. Bei zugesetzten Aromen - seien sie natürlich oder nicht - handelt es sich um speziell zusammengestellte Stoffgemische, deren genaue Zusammensetzung nur wenigen Fachleuten bekannt sind.
 

Warum ist das Aroma so wichtig in der Ernährung?
In der Natur entsteht das charakteristische Aroma eines Lebensmittels, wie das von reifem Obst, durch das Zusammenwirken einer Vielzahl unterschiedlicher Aromastoffe. Dies sind flüchtige Substanzen, die während der natürlichen Reifeprozesse oder einfache Zubereitungen im Lebensmittel gebildet werden. Im Mund-Nasen-Raum entstehen durch die Kombination der verschiedenen Aromastoffe eines Lebensmittels jene Aromaeindrücke, die bei uns im Kopf die konkrete Vorstellung von Kaffee oder Knoblauch usw. erzeugen. Aromastoffe sind oft schon in geringster Konzentration wahrnehmbar.

Für uns als Verbraucher sind Aromastoffe durch ihre Geruchswirkung ein wichtiger Wegweiser zur Bewertung von Lebensmitteln. Der Geruch unverträglicher Speisen, wie der fauler Eier, verhindert deren Verzehr durch das unangenehme "Aroma". Der Geruch eines frisch gebackenen Brotes hingegen regt unseren Appetit an und bereitet uns auf einen kommenden Genuss vor. Unser Körper reagiert auf ein solches Aroma sogar mit der Ausschüttung von Verdauungssäften und Hormonen. Das wahrgenommene Aroma ist somit ein erster Schritt der Verdauung. Infolge der Zugabe von Aromastoffen können sich die Verbraucher jedoch kein Bild über die wahre Qualität der eingesetzten Rohstoffe machen. Woher soll der Kunde wissen, ob das leckere Aroma durch die Qualität der Zutaten oder ein zugesetztes Stoffgemisch entsteht?
 

Wozu dienen Aromazusätze?
Reicht das ursprüngliche Aroma der Zutaten nicht aus, wie bei einer Vielzahl industriell produzierter Lebensmittel, werden Aromazusätze eingesetzt. Egal ob Snackprodukte oder Fertiggerichte, ohne den Zusatz von Aromastoffen wären viele Produkte nach den Strapazen der Verarbeitung geschmacklich unattraktiv. Hohe Temperaturen und hoher Druck schaden den oft empfindlichen Aromastoffen der Ausgangsrohstoffe und führen zu deren Abbau. Wenn dann noch eine längere Lagerung hinzukommt, bleibt vom ursprünglichen Aroma der Zutaten kaum etwas übrig. Die Zugabe von Aromastoffen ist die Möglichkeit, dem Kunden ein geschmacklich attraktives Produkt zu bieten, bei dem er gerne wieder zugreift, auch weil "es so gut schmeckt".

Hersteller setzten in ihren Rezepturen zusätzliche Aromen ein, da sie viele Vorteile bieten. Hersteller können durch die Verwendung von Aromastoffen:

  • Produkte geschmacklich standardisieren: Geschmackliche Schwankungen durch unterschiedliche Herkünfte und Qualitäten von Rohstoffen können ausgeglichen werden und der Produktgeschmack ist über Jahre hinweg kontinuierlich gleich. Der Kunde bekommt immer seinen gewohnten Geschmack.
  • Rohstoffe einsparen: Ein Fruchtjoghurt mit einem Fruchtanteil 6% Frucht schmeckt dann so, als wären 50% oder mehr Erdbeeren enthalten.
  • die sensorische Qualität aufwerten: Geschmacklich minderwertige Rohstoffe, die auf dem Frischemarkt nicht mehr verkaufbar sind, schmecken durch zugesetzte Aromen wie allerbeste Ware.

 
Natürliches Aroma oder Aromaextrakt - was ist natürlicher?
Künstliches Vanillearoma - Rohstoff für die Lebensmittelindustrie
Künstliches Vanillearoma - Rohstoff für die Lebensmittelindustrie
Die in der Verarbeitung zugesetzten Aromen sind speziell für das jeweilige Produkt zusammengestellte Mischungen. Das Aroma der einzelnen Mischungen kann durch unterschiedliche Typen von Aromastoffen erzeugt werden. Für Bio-Lebensmittel ist der Einsatz von "künstlichen" oder "naturidentischen" Aromastoffen verboten. Beide Typen von Aromastoffen werden chemisch synthetisiert. Die "natürlichen" Aromastoffe werden aus allen möglichen pflanzlichen oder tierischen Ausgangsmaterialien mittels physikalischer oder biotechnologischer Methoden gewonnen. Sind diese Vorgaben erfüllt, handelt es sich rechtlich um einen "natürlichen Aromastoff". Dabei muss beispielsweise ein nach Himbeeren schmeckender Aromastoff nicht aus der Himbeere gewonnen werden, sondern kann aus einem Zedernholz isoliert werden. Konzentrate und Auszüge aus Pflanzen, wie ätherische Öle, werden hingegen als "Aromaextrakte" bezeichnet. Dies sind anders als "natürliche" Aromastoffe keine chemisch definierten Einzelsubstanzen, sondern natürliche Stoffgemische.

Spezialisierte Chemiker, die sogenannten Flavoristen, bauen mit Hilfe der einzelnen Aromastoffe im Labor das Vorbild aus der Natur nach. Die Kopie ist jedoch schlecht. Für ein Erdbeeraroma wird weniger als ein Zehntel der Substanzen benötigt, die in der Erdbeere das ursprüngliche Aroma ausmachen (s. Kasten). Um die weitere Verarbeitung zu ermöglichen, kommen zu den Aromastoffen Trägermaterialien hinzu (90% der fertigen Aromenmischung), beispielsweise Zusatzstoffe wie Glyzerin (E 422). Weitere Zusatzstoffe in industriell hergestellten Aromen können Antioxidationsmittel, Konservierungsstoffe und Geschmacksverstärker sein. Flavoristen können bei ihren Zusammenstellungen fast 100 verschiedene Zusatzstoffe einsetzen. Das ganze Gemisch kann dann als "Aroma" ausgelobt werden. Enthaltene Zusatzstoffe werden im Endprodukt nicht deklariert. Wenn als aromatisierende Komponenten nur "natürliche Aromastoffe" und "Aromaextrakte" verwendet wurden, kann die weitere Bezeichnung "natürliches Aroma" gewählt werden. Ob eine Mischung aus "natürlichen" Aromastoffen, Zusatzstoffen und technischen Hilfsstoffen noch die Bezeichnung "natürlich" verdient ist allerdings fragwürdig. Der Verbraucher, besonders im Bio-Bereich, erwartet etwas anderes.
 

Wie ehrlich sind "natürliche" Aromen in Bio-Produkten?
Die gesamte Bio-Branche ringt seit Jahren mit der Frage eines kompletten Verzichts auf "natürliche" Aromastoffe. Doch die Umsetzung ist äußerst schwierig, denn ohne zugesetzte Aromastoffe sind viele absatzstarke Produkte, wie Fruchtmilcherzeugnisse und aromatisierte Tees kaum herzustellen und werden zudem merklich teurer. Eine verbindliche Festlegung innerhalb der gesamten Bio-Branche ist daher bis heute nicht gelungen.

Die Situation bei Fruchtjoghurts verdeutlicht die Problematik. Mit dem überwiegenden Marktanteil am Joghurtumsatz sind sie ein wesentlicher Faktor für die Milchvermarktung, in einem Fruchtjoghurt stecken 80 % Naturjoghurt. Die ersten idealistischen Versuche ohne Zucker und ohne Aromen waren geschmacklich unakzeptabel und fanden kaum Absatz, sie verschwanden wieder schnell vom Markt. Der Einsatz von Zucker, auch von Biozucker, wurde von Kunden strikt abgelehnt. Um ein fruchtig schmeckendes Produkt zu erhalten, blieb dann nur der Zusatz von Aroma. Künstliches oder naturidentisches Aroma kam nicht in Frage, aber ein "natürliches" Aroma schien die Lösung. Der Begriff "natürlich" wurde mit der Bedeutung von "gering verarbeitet" oder "naturbelassen" verbunden. Doch selbst bei dem Einsatz von "natürlichen" Aromastoffen kam der Erdbeergeschmack aus dem Labor und nicht aus der Erdbeerfrucht. Die ersten Artikel über Erdbeeraroma aus Sägespänen und Pfirsicharoma aus Schimmelpilzen schreckten daher die ganze Bio-Branche auf.

Die von den Bio-Verbrauchern gestellten Anforderungen an einen Fruchtjoghurt: kein Zucker und intensiver Fruchtgeschmack - aber Geschmack möglichst wie konventionelle Produkte - konnten nur mit Aromen erfüllt werden. Die Verbraucher, auch die Bio-Verbraucher, sind auf einen Fruchtgeschmack trainiert als wären 80% Fruchtzubereitung und 20% Joghurt enthalten. Die wirklichen Verhältnisse sind umgekehrt. Der Joghurt hat von sich aus eine kräftige Säure, das schadet den meisten anderen Aromastoffen. Und, schließlich soll das Produkt noch haltbar sein und bis zum Verfallsdatum dem Kunden schmecken.
 

Fruchtjoghurt ganz ohne
Es geht auch ohne: mehrere Biomolkereien haben den Schritt gewagt
Es geht auch ohne: mehrere Biomolkereien haben den Schritt gewagt
Was also tun? Alternative Süßungsmittel wie Vollrohrzucker hatten technologische Nachteile und ihr Eigengeschmack war im Joghurt unerwünscht. Die Erhöhung des Fruchtanteils wiederum macht den Fruchtjoghurt wesentlich teurer. Ein Preisaufschlag von 25 - 30 Cent bei einem 500-g-Glas auf bisherige Bio-Fruchtjoghurts war im Markt nicht umsetzbar. Die Bio-Molkereien suchten intensiv nach Lösungen, was zur Mischung von verschiedenen Früchten und alternativen Süßungsmitteln wie Agavendicksaft führte. Dies brachte bei geschickter Kombination einen ausreichenden Fruchtgeschmack. Problem waren jedoch die so genannten Monofruchtprodukte. Die im Milchmarkt beliebtesten Sorten Erdbeere und Kirsche haben ein sehr feines und empfindliches Aroma. Ohne eine "Unterstützung" durch andere Fruchtsorten oder Weisszucker waren die im Erdbeerjoghurt vorhandenen Erdbeeren geschmacklich nicht zu erkennen. Der idealistische Ansatz, die "natürlichen" Aromastoffe komplett auszuschließen, wurden daher nicht umgesetzt. Der radikale Verzicht hätte zur weiteren Verschlechterung der Bio-Milchvermarktung geführt und den Bauern weitere Einbußen beim Milchabsatz beschert.

Im Naturkostmarkt sind heute weiterhin "natürliche" Aromastoffe zu finden. Es gibt verschiedene Ansätze der Regelung, doch bei allen gibt es für einzelne Fruchtsorten Ausnahmen. Demeter hat ohne wenn und aber den Auschluss "natürlicher" Aromastoffe komplett für alle Produkte festgelegt. Diese Einschränkung für Demeter-Produkte bietet Kunden mehr Transparenz hinsichtlich der Qualität der Rohstoffe und der eingesetzten Zusatz- und Verarbeitungshilfsstoffe. Gesundheitlich bedenkliche Zusatzstoffe werden ausgeschlossen und ein mögliches Eintrittsfeld für die Gentechnik, über biotechnologisch hergestellte "natürliche" Aromastoffe, wird geschlossen. Durch das "weniger" an Aromen bekommen Kunden mehr Transparenz, mehr Sicherheit und mehr echten Geschmack.
 

Kurz & knapp
  • Auch Bioprodukte werden mit "natürlichen" Stoffen aromatisiert, die nicht aus der namensgebenden Pflanze stammen.
  • Bestimmte Bio-Fruchtjoghurts lassen sich nur schwer ohne Weißzucker und ohne Aromen herstellen, bzw. zahlt der Kunde den Preis dafür nicht.
  • Die ersten Bio-Fruchtjoghurts "ohne" sind auf dem Markt; der Demeter-Verband hat den Einsatz "natürlicher" Aromastoffe für alle Lebensmitteln ausgeschlossen.

 

 
Kennzeichnung von Aromen - wie kann der Verbraucher auswählen?
Die verwirrende Kennzeichnung der Aromen wird am folgenden Beispiel deutlich. Ein Vanillearoma kann beispielsweise als "Vanillearoma" deklariert werden. Diese Bezeichnung sagt nichts aus über die Art der aromatisierenden Bestandteile und ob überhaupt Bestandteile aus der Vanillepflanze enthalten sind. Sogenannte "natürliche", "naturidentische" und "künstliche" Aromastoffe sowie alle für Aromen zugelassenen Zusatzstoffe können verwendet werden. Die weitergehende Deklaration als "natürliches Aroma, Typ: Vanille" erfordert, dass alle aromatisierenden Bestandteile der aromenrechtlichen Definition von "natürlich" entsprechen, also aus tierischen oder pflanzlichen Ausgangsmaterialien gewonnen wurden. Bei dieser Kennzeichnung müssen ebenfalls keine Bestandteile der Vanillepflanze in dem Aroma enthalten sein. Bei der Auslobung "natürliches Vanillearoma" können Verbraucher jedoch davon ausgehen, daß die aromatisierenden Bestandteile fast ausschließlich aus der Vanillepflanze gewonnen wurden. Die verwendeten Trägermittel und Zusatzstoffe werden auch hier nicht deklariert.

Die in Bio-Produkten verwendeten Aromen unterscheiden sich von denen in konventionellen Produkten nur durch die Beschränkung der eingesetzten Aromastoff-Kategorien. Künstliche und naturidentische Aromastoffe sind für Bio-Produkte ausgeschlossen. Die verwendeten "natürlichen" Aromen unterscheiden sich jedoch nicht von den "natürlichen" Aromen in konventionellen Produkten. Den Kunden bleibt nur der genaue Blick auf die Zutatenliste oder er greift zur Demeter-Marke. Für alle Demeter-Produkte sind "natürliche" Aromastoffe komplett ausgeschlossen.
 


 
Beispiel für Bestandteile eines "natürlichen" Aromas
  • Typ: Erdbeere
  • Aromatisierende Bestandteile: Capronsäure, Erdbeersaftkonzentrat, Essigsäure, Ethylacetat, Ethylbutyrat, Ethylcapronat, Ethyl-2-Methylbutyrat, Isoamylbutyrat, cis-3-Hexenylacetat, cis-3-Hexenol, ã-Decalacton, Methylbuttersäure, Trägermittel Ethanol, Propylenglycol, Wasser